
Carlo Blum
Mer senn an de Gromperen
ehemaliges Brauhaus
9, montée du Château
Clervaux
Kartoffel ist nicht gleich Kartoffel - die Geschichte einer tollen Knolle ...
Derzeit geht man davon aus, dass es weltweit mehr als 5000 verschiedene Sorten Kartoffeln gibt. Das alles andere als gewöhnliche Nachtschattengewächs hat im Laufe der Zeit die Welt bereist und zieht noch heute Landwirte, Konsumenten und Wissenschaftler in seinen Bann. Letztere haben zwischen 2006 und 2011 ausgehend vom Genom der beliebten Feldfrucht über 800 Krankheitsresistenzgene ausgemacht, die eine Ernte komplett zerstören können[1]. Die Kartoffel hat im Laufe der Zeit nicht nur Gastronomen inspiriert, sondern auch zahlreiche illustre Persönlichkeiten der Geschichte, die dem Charme der Pflanze, dem Geschmack ihrer Knolle und der Schönheit ihrer Blüte verfallen sind. Die Liste ihrer Anhänger ist lang und umfasst Aristokraten wie Friedrich II. von Preußen, aber auch Eroberer und Schriftsteller. Diese haben der Kartoffel mit ihren Texten ein literarisches Denkmal gesetzt, während andere Künstler - wie Vincent van Gogh mit seinem Gemälde „Die Kartoffelesser" (April 1885) - sie mit Stift und Farbe auf Papier und Leinwand verewigt haben.
Der Schotte pflegt zu sagen: „You say potato, I say potahto." Doch nicht nur der lautsprachliche Ausdruck variiert von einer Region zur anderen. Auch die Namen der einzelnen Sorten dieser großen Familie zeugen von ausgeprägtem Einfallsreichtum und deuten auf ihre Vielfalt und charakteristischen Eigenschaften hin. Die meisten von ihnen scheinen einem lyrischen, poetischen Spiel zu entstammen, bei dem es darum geht, die jeweilige Bezeichnung mit einem möglichst farbigen, aussagekräftigen Bild zu assoziieren: die Cara gilt als Vielgeliebte, die Désirée ist heiß begehrt (im Magen oder zumindest auf dem Teller) und macht Lust auf mehr, sobald man erst einmal in den Genuss ihres Fruchtfleischs gekommen ist. Die Alegria verheißt Freude, nicht nur der spanischen Etymologie zufolge, und Cleopatra, die Königin, gedeiht vorurteilsfrei und keineswegs diskriminierend neben den herkömmlicheren Knollen der Charlotte oder der wunderbaren Corine mit ihrer blassgelben, glatten Schale. Seltener, aber dennoch vertreten, sind männliche Kartoffelnamen: selten vielleicht, doch mitnichten zweitklassig! Da gibt es beispielsweise Hermes - einfach göttlich im Geschmack - oder Diamant - mit einer Maßeinheit, die zur Abgrenzung vom gleichnamigen Edelstein nicht in „Karat", sondern in „Gramm" ausdrückt werden will.
Der Kondor erzählt die Geschichte des Ursprungs der Kartoffel. Um die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist sie aus den Anden, aus Venezuela, aber auch aus Argentinien und Chiloé (Küstenregion der Republik Chile) zu uns nach Europa gekommen. Auf der Insel Chiloé fand man wohl auch die ältesten Spuren von wilden Kartoffeln. Ihr Alter wird auf rund 13 000 Jahre geschätzt[2]. Bleibt die Frage, ob es sich beim luxemburgischen Kondor um einen direkten Nachfahren oder eine zeitgenössischere Variante handelt, die mit ihrem Namen lediglich an die Vorfahren erinnert? Höchst geheimnisumwoben, diese Kartoffel ...
Glücklicherweise jedoch gibt es Experten zur Genüge: Kenner des Geschmacks und der Farbe, Gelehrte der Würze und der Zubereitung, Liebhaber des Verzehrs und der Bekömmlichkeit - sowie in erster Linie diejenigen, die diese wunderbare Feldfrucht anbauen. Carlo Blum, selbst eingefleischter Kartoffelfan, hat einen Erzeuger im Norden des Großherzogtums begleitet und das große Abenteuer von Bintje, Anosta, Nicola sowie Victoria und ihren Verwandten während einer Saison dokumentiert.
Dieses Abenteuer hat in den Ardennen bekanntlich eine lange Tradition. Seine institutionalisierte Form geht auf das Jahr 1945 zurück, Gründungsjahr der Genossenschaft SYNPLANTS, deren Name von der Bezeichnung „Syndicat des Producteurs de Plants de Pommes de Terre" (Verband der Pflanzkartoffelerzeuger) abgeleitet ist. Boden und Klima im Norden des Landes sind für das Wachstum der Kartoffelpflanze extrem günstig - da war die Entstehung der Genossenschaft nur eine logische Konsequenz.
Während der Anbau in den ersten Jahren jedoch hauptsächlich auf den Verbrauch ausgerichtet war, konzentriert sich die Arbeit der Genossenschaft heute fast ausschließlich auf die Erzeugung von Pflanzkartoffeln, die zu 85 - 90% in rund zwanzig verschiedene Länder exportiert werden[3].
Die Gründe für diese Entwicklung sind eher unerwarteter Natur. Nur soviel vorweg: An der Qualität des Erdapfels liegt es nicht. Der Rohboden unserer Regionen bringt eine Kartoffel mit gutem Fleisch, aber runzeliger Schale und anhaftender Erde hervor ... Erstaunlich? Nun, das äußere Erscheinungsbild des Produkts kann jedenfalls mit den Sorten unserer Nachbarregionen - mit einer Schale, die glatter und somit auch leichter zu waschen ist - leider nicht Schritt halten. Und das Auge isst ja bekanntlich mit! Folglich reduziert sich alles auf die Frage: Wer ist die Schönste?
Doch belassen wir es nicht bei diesem oberflächlichen Urteil. Der Kartoffelanbau hat nichts von seiner Attraktivität eingebüßt. Die Felder werden entweder im Herbst vor der neuen Saison oder im Frühjahr vorbereitet. Das Pflanzgut wird in etwa 8 bis 15 cm Tiefe gesetzt und mit Erde bedeckt. Je nach Sorte beträgt die Vegetationszeit 90 bis 160 Tage. Die Ernte beginnt meist in der zweiten Augusthälfte und endet mit der Anlieferung der Kartoffeln in der Genossenschaft gegen Ende Oktober.
Der Ablauf von Ernte, Sortierung und Lagerung setzt eine konstante Atmosphäre mit einer Temperatur von 3° C voraus. Doch die Kartoffeln sind längst noch nicht am Ziel ihrer Reise angelangt, schließlich treten sie erst frisch verpackt ihren Weg zu den Kunden an.
Carlo Blum hat durch seine Aufnahmen verdeutlicht, dass es im Lebenszyklus der „tollen Knolle" nicht nur auf das Fachwissen der Erzeuger ankommt, sondern auch auf die Ausdauer, Motivation und Leidenschaft, die sich in ihrer Arbeit widerspiegeln: ein menschliches Erbe, das Generationen ernährt - mit weit mehr als nur einem Grundnahrungsmittel.
A. Meyer / Clervaux - cité de l'image a.s.b.l.
Übersetzung aus dem Französischen von Sabine Cremer
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffel - Quelleneinsicht am 6. Mai 2014
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffel - Quelleneinsicht am 6. Mai 2014
[3] www.synplants.lu