FRAGMENTS D’INDICES (2024)
Ein Porträt ist immer in der Weitergabe lösbar. Und sich selbst zu porträtieren bedeutet, etwas von seiner Persönlichkeit weiterzugeben, eine Übung, die oft schwer fassbar ist, weil das „Ich” nicht alles sagen kann - und die an das berühmte Zitat von Rimbaud erinnert: „Ich ist ein anderer”. Gleichzeitig prägen uns oft Familiengeschichten, und genau diese Geschichte vermittelt Neckel Scholtus in ihrem Selbstporträtversuch.
Neckel greift das Genre in Form einer visuellen Charade auf und streut Hinweise, Formen und Farben, die durch Assoziationen oder Brüche zwischen Metaphern und Ellipsen hin und her wandern und schließlich das „Bild“ ergeben, hinter dem sich die Künstlerin versteckt und gleichzeitig offenbart.
Da das besagte „Bild” - ein Mosaik aus acht Fotos - eine Scharade ist, ist mein erster Hinweis eine Hand, eine mit rosa Beeren beladene Handfläche, und mein letzter ist eine Büste, die der Fotografin, deren Blick aus dem Augenwinkel eingefangen wurde, nicht verloren, sondern auf das gerichtet, was ihr Rätsel ausmacht, mit glattem Haar, mit zusammengepressten Lippen, schief sitzender Krawatte, in einer sehr rimbaldischen Pose, durchdrungen von einem Bedürfnis nach Anerkennung, von Intimität, Introspektion, aber auch von dieser ihr eigenen Eigenschaft, die alles besänftigt: Humor.
Das ist also die Charade Scholtus: ein einzigartiger Blick, eine bildhafte, poetische und zärtlich schelmische Überschreitung der Konventionen des Porträts. Und was erzählt diese Charade?
Die Beziehung zur Natur, zur zerbrechlichen Schönheit und zur Erde, die zugleich Kindheitsraum und Familienerbe ist. Alles beginnt also mit einem Körperteil, der Hand, Symbol der Gabe. Mit ihren kleinen Beeren, rosa wie die Wand des väterlichen Bauernhauses, rund wie der Metalldraht, der in einer Schleife an derselben Wand hängt, wie auch die Medaillons, die in einer Art Kieselkonstellation angeordnet sind und das Porträt des Urgroßvaters in Schwarz-Weiß duplizieren, dies in Anlehnung an das gedämpfte Hell-Dunkel des Ortes, an dem das Mehl gesiebt wird, was auf die bäuerliche Arbeit verweist, mit einer Nahaufnahme eines anderen Körperteils, den Füßen, die in der nährenden Erde stehen, in diesem Fall den Füßen des Vaters, dann seinem Rücken, gerahmt wie eine Erde des Schweißes, auch der Geburt und des Kampfes, was durch zwei im Kies gewundene Blindschleichen symbolisiert wird, eine Wicklung analog zu der Krawatte von Neckel, der Tochter, der Frau, die Künstlerin geworden ist.
Biografie
Neckel Scholtus (* 1982 als Annick Sophie) lebt und arbeitet in Luxemburg. Sie ist Fotokünstlerin und hat an den Universitäten Montpellier III und Paris 8 studiert. 2009 konzipierte sie das Projekt „Le Roulot'ographe”. Sie entwickelt ihre künstlerischen Projekte hauptsächlich in Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit, insbesondere durch Residenzen, aber auch als freiberufliche Kunstvermittlerin in Kulturinstitutionen. Seit 2010 besitzt sie den Status einer unabhängigen, professionellen luxemburgischen Künstlerin. Ihre Arbeiten wurden bereits in Frankreich, Luxemburg, China, Deutschland, der Schweiz, Schweden, Bulgarien, auf der Elfenbeinküste und in Italien ausgestellt.




